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BLEIBT DIE KIRCHE IM DORF ?
von Pfarrer Klaus Weber

Die Diözese Würzburg ist ländlich strukturiert und über Jahrhunderte katholisch geprägt. Mehr als die Hälfte der über 600 Pfarreien und Kuratieren zählen weniger als 1000 Gläubige. Im Pastoralen Raum Ochsenfurt ist die Kleinteiligkeit nochmals ausgeprägter. Im Grossteil der 46 Gemeinden wohnen unter 500 Katholiken, in einigen sogar nicht mal 100. Gesegnet ist das fränkische Land mit zahlreichen, Stein gewordenen Zeugen christlichen Glaubens aus vergangenen Zeiten: Kirchen, Kapellen, Bildstöcke und Wegkreuze. Besonders die Dorfkirchen prägen seit Jahrhunderten das Ortsbild und sind Teil der kulturellen Identität der Bevölkerung. Im Nachklang des zweiten Vatikanischen Konzils ist das Leben der örtlichen Pfarrgemeinde gezielt gefördert worden; auch wenn seit über 15 Jahren die Einzelpfarreien eine Pfarreiengemeinschaft bilden, blieb der Fokus der meisten Gläubigen auf ihren Wohnort. Nach wie vor können bzw. wollen es sich die allermeisten Gläubigen nicht vorstellen, ihren Glauben regelmäßig andernorts in einer größeren Gemeinschaft zu feiern. Bei vielen scheint die Liebe zum Ortsheiligtum stärker als der Wunsch sonntäglich die Eucharistie wohnortnah mitzufeiern.

Während in anderen Lebensbereichen der Landbevölkerung im Wandel der Zeit längere Wege mittlerweile selbstverständlich sind: Arbeit, Schule, Ärzte, Einkaufen, Gastronomie, Freizeitaktivitäten, Freunde; hat ein Umdenken im religiösen Leben noch kaum eingesetzt. Dabei sind die Veränderungsdynamiken in Kirche und Gesellschaft nicht zu ignorieren. Die Auswirkungen verschiedener Megatrends erleben wir in allen Gemeinden: Überalterung, Landflucht, Individualisierung (Selbstbestimmung vs Gemeinschaft), Mobilität, Entchristlichung, Bedeutungsverlust der Kirche, etc.
Darüberhinaus spüren wir mehr und mehr die Erscheinungen innerkirchlicher Entwicklungen: Vertrauenskrise, Entfremdung, Gläubigen- und Priestermangel, Ansteigen der Kirchenaustritte, wenige Taufen, Beichten und kirchliche Trauungen, höhere Ausgaben und weniger Einnahmen. Gottesdienstbesucherzahlen sind innerhalb weniger Jahren eingebrochen. Die Lücken werden immer größer und besonders kleine Gemeinden kämpfen jetzt schon ums Überleben. Aktuell kann das Bistum Würzburg auf den Dienst von 230 aktiven Priestern bauen. In 17 Jahren rechnet man mit 80, höchstens 100 Priestern für die gesamte Diözese. Diese Prognose, umgerechnet auf unseren Pastoralen Raum Ochsenfurt mit seinen heute etwa 17.500 Katholiken, besagt, dass ab September 2023 fünf Priester mit klarer Tendenz zu vier, 2030 höchstens drei und 2040 ein bis zwei Priester für unsere 46 Gemeinden zur Verfügung stehen. Jeder kann sich ausrechnen, dass eine flächendeckende sakramentale Seelsorge von den wenigen Priestern nicht geleistet werden kann. Dem Priestermangel auf der einen Seite entspricht - offen gesprochen – allerdings auch das sinkende Interesse am religiösen Leben im Volk Gottes auf der anderen Seite. Einst vitale Pfarrgemeinden befinden sich seit Jahren in einem Sterbeprozess. Tüchtige Ehrenamtliche kämpfen nach Kräften um das Aufrechterhalten kirchlichen Lebens in ihren Dörfern. Das Engagement zögert das Ende auch noch einige Zeit hinaus, doch umkehren lässt sich dieser Prozess nicht, was zu einer zunehmenden Frustration aller Engagierten führt. Die vertraute Sozialgestalt der Volkskirche ist Geschichte. Die nüchterne Einsicht, dass in einer Vielzahl von Gemeinden Kirche perspektivisch keine Zukunft hat – es sei denn Gott bewirkt eine religiöse Erweckung -, ist insbesondere für diejenigen schmerzhaft, deren Herz an der Pfarrkirche hängt. In vielen Kirchen unseres Pastoralen Raumes versammelt sich „die letzte Generation“ zum Gottesdienst und es stellt sich mancherorts jetzt schon die Frage der Liturgiefähigkeit einer Gemeinde. Nach und nach werden in vielen Dorfkirchen die (ewigen) Lichter ausgehen! Unter Berücksichtigung der bekannten Mangelerscheinigungen der Kirche vor Ort: Glaubens-, Gläubigen-, Priester- und Geldmangel, sieht man klarer in die Zukunft, wenn man ehrlich die Frage beantwortet, wo man denn heute mit dem Bau neuer Kirchen in welcher Größe beginnen würde, gäbe es in unserem Pastoralen Raum Ochsenfurt noch keine Versammlungsräume für die Christen. Es braucht in der Weiterentwicklung unseres Pastoralen Raumes einen realistischen Blick sowohl auf den Bedarf als auch auf unsere Ressourcen. Notwendig ist ein Umdenken bei Verantwortlichen und allen Gläubigen. Wer sich dafür entscheidet, neue Wege in die Zukunft zu gehen, ist gut beraten, sein Potential im Aufbau einer neuen Gestalt von Kirche einzubringen und die begrenzte Lebenszeit und Kraft nicht nur mehr in die Verwaltung des Niedergangs kirchlicher Strukturen zu investieren – in der Hoffnung den eingeläuteten, nach menschlichen Möglichkeiten nicht umkehrbaren, Sterbeprozess noch für eine kleine Weile hinauszuzögern. Unser Bischof Franz hat schon zu seinem Amtsantritt in Würzburg das Ende der Volkskirche festgestellt und betont, dass Auferstehung nach christlichen Verständnis nicht Wiederbelebung meint, kein zurück in die verlorene Vergangenheit. Bevor Auferstehung möglich ist, kommt allerdings der Tod. Vor Ostern durchleben die Freunde Jesu in den Kartagen Verrat und Verzweiflung, Klage und Trauer, Ablehnung und Leiden, Sterben und Tod und dann erstmal eine Zeit der Grabesruhe. Einige der engsten Freunde Jesu konnten es nicht ertragen, dass es seinerzeit so kommen musste. Die Jünger mussten neu denken lernen. Die Realität hat sie häufig eingeholt. Wer den Weg, den Gott weist, allerdings mitgeht, den führt Gott in eine neue, attraktivere Zukunft. Halten wir uns also nicht zulange mit dem Wehklagen der Karwoche auf, sondern schauen wir auf das neue Leben, welches im österlichen Licht Konturen gewinnt, suchen wir die Begegnung mit dem Auferstandenen, laden wir alle Interessierten ein, neue Glaubenserfahrungen mit dem lebendigen Gott zu machen und erwarten ein neues Pfingsten. „Gewöhn dich an anders!“, ist eine der Kernaussagen Reich-Gottes-Botschaft Jesu Christi. Was die Steine betrifft, bleibt die Kirche im Dorf. Jedoch spielt das Leben woanders - nicht nur, aber auch - im Blick auf die Zukunft unseres Glaubens.

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